
Immer Stress am Esstisch: Edith Gätjen im Interview
„Immer gibt es Stress am Esstisch!“ Die gemeinsame Mahlzeit am Abend: Für viele Familien der Zeitpunkt am Tag, an dem alle zusammenkommen. Häufig treffen dabei aber auch ganz unterschiedliche Bedürfnisse aufeinander, die dem Wunsch nach einer entspannten Familienmahlzeit entgegenstehen. Wir haben mit Edith Gätjen über Momente gesprochen, die zu Stress am Esstisch führen können. Hier erfahren Sie, was dahintersteckt und wie Sie stressige Momente beim gemeinsamen Essen vermeiden können.

Momente beim Essenlernen können herausfordernd sein und auch Fragen aufwerfen – für die Kinder selbst, aber auch für die Erwachsenen. Deshalb haben wir mit Edith Gätjen, Ökotrophologin, systemische Paar- und Familientherapeutin, Präsidentin des UGB, Buchautorin, Trainerin der Sarah Wiener Stiftung und vierfache Mutter über die häufigsten Fragen von Eltern gesprochen, um Ihnen Erklärungen und Ideen für einen Umgang mit typischen Herausforderungen im Essalltag, an die Hand zu geben.
Auf einen Blick
- Passen Sie Ihre Erwartungen an das gemeinsame Essen an.
- Treffen Sie Vereinbarungen wie z.B. Kinder warten auf Kinder.
- Richten Sie sich auch mal einen „Elternabend“ ein.
- Setzen Sie sich nicht allzu hungrig an den Tisch. Denn: umso mehr Hunger, desto weniger Geduld.
Warum bleibt mein Kind bei dem gemeinsamen Abendessen nicht sitzen?
Edith Gätjen: Häufig wird die gemeinsame Mahlzeit am Abend dafür genutzt, um sich über den Tag auszutauschen. Für etwas kleinere Kinder, etwa im Alter von zwei Jahren, kann das eine ziemliche Herausforderung sein, da sie oftmals sprachlich noch nicht so weit sind, dass sie sich am Gespräch beteiligen können. Oder ihre Feinmotorik ist noch nicht so weit entwickelt, dass das selbstständige Essen problemlos klappt. Dann sind sie auch damit nicht richtig beschäftigt und ihnen wird langweilig. Nicht zu verwundern, dass sie aus dieser Situation rauswollen und lieber aufstehen. Insbesondere dann, wenn das Kind merkt, dass die Eltern sich nicht einig oder allgemein angespannt sind. Kinder möchten dann meist lieber spielen als essen.
Es kann auch sein, dass der Hunger nicht groß genug ist und die Kinder deshalb aufstehen möchten. Ein anderes Phänomen, insbesondere bei kleineren Kindern, ist, dass nach den ersten paar Bissen bereits der Stuhlgang angeregt wird. Im Hochstuhl sitzend mit einer engen Windel um den Bauch, kann das unangenehm sein, deswegen stehen sie lieber auf. Das passiert oft morgens und abends. Es kann auch sein, dass das Kind beim Abendessen einfach zu müde ist. Gerade für zweijährige Kinder, die bis um 15 oder 16 Uhr in der Kita sind, kann ein Abendessen um 19 Uhr eine ziemliche Herausforderung sein.

Mein Kind bleibt beim Essen nicht sitzen, weil …
… es sich nicht an den Tischgesprächen beteiligen kann.
… das selbstständige Essen noch zu schwierig ist.
… es lieber spielen möchte.
… der Hunger nicht so groß ist.
… die Stimmung angespannt ist.
… der Stuhlgang eingesetzt hat und die Windel drückt.
Wie kann ich Stress am Esstisch vermeiden?
Edith Gätjen: Mir ist immer ganz wichtig, Eltern anzuregen, dass sie ihre Vorstellung vom gemeinsamen Abendessen eventuell ein wenig anpassen. Dass das gemeinsame Abendessen ein wichtiger Teil der Beziehungs- und Kommunikationszeit der Familien ist, ist vielen bewusst. Aber damit können Eltern auch das Gefühl bekommen, dass die gemeinsame Mahlzeit am Abend auch klappen muss. Wenn das Essen dann nicht den Erwartungen entspricht, ist die Enttäuschung umso größer. Das spüren natürlich auch die Kinder.
Und dann gibt es ja immer noch Situationen mit mehreren Kindern am Esstisch. Wenn jedes Kind aufsteht, wenn es Lust hat, wird es richtig stressig. Eine Möglichkeit wäre, die Vereinbarung treffen, dass alle Kinder so lange sitzenbleiben, bis alle Kinder fertig gegessen haben – aber nicht auf die Großen zu warten brauchen.
Und natürlich stehen nicht nur Kinder hin und wieder auf, sondern auch Erwachsene. Sei es, um noch etwas Salz oder einen Lappen zu holen. Das führt natürlich auch zu Unruhe. Hilfreich kann es sein, vor dem Essen kurz zu überprüfen, ob wirklich alles Benötigte bereitsteht.

Was ich Eltern auch immer ans Herz lege: dass sie sich einmal die Woche einen Elternabend ermöglichen. Also das Kind isst und ein Elternteil oder beide sitzen dabei, dann geht das Kind schlafen und danach essen die Eltern zu zweit. Daraus kann man dann wieder Kraft schöpfen für Mahlzeiten, die nicht so laufen, wie man sie sich vorstellt. Ich habe da noch einen Tipp: Wir sprechen ja immer davon, dass Kinder hungrig oder nicht hungrig sind. Aber Eltern sind abends auch ganz schön oft hungrig, weil sie z.B. kein Mittagessen hatten. Da würde ich empfehlen, schon beim Kochen oder einfach vor dem gemeinsamen Essen einen kleinen Happen zu essen, um sich nicht ganz so hungrig und unterzuckert an den Tisch zu setzen. Denn großer Hunger kann ein Stück weit ungeduldig und intolerant machen. Deshalb hilft es auch für Eltern zu schauen, wie gelassen sie selbst in die Esssituation gehen.