Tischregeln für die Familie: Annette zu Solms im Interview
Sind Tischregeln sinnvoll? Und wie kann man erfolgreich Vereinbarungen für die gemeinsame Zeit am Tisch treffen? Annette zu Solms erklärt im Interview wie Familien Tischregeln aufstellen und einhalten können. Sie ist Referentin für den Fachbereich Eltern beim Kita-Träger FRÖBEL in Norddeutschland (Hamburg und Schleswig-Holstein).
Auf einen Blick
- Behalten Sie die Bedürfnisse aller Familienmitglieder und den Entwicklungsstand ihres Kindes im Blick.
- Treffen Sie gemeinsame Vereinbarungen statt strenger Regeln, und bleiben Sie flexibel.
- Machen Sie Vereinbarungen verständlich und nachvollziehbar.
- Seien Sie Vorbild und halten Sie sich an ihre Vereinbarungen.
- Gestalten Sie das gemeinsame Essen als schönen Familienmoment.
Sind Tischregeln sinnvoll?
Annette zu Solms: Tatsächlich bin ich kein großer Fan von vielen Tischregeln und davon, dass sie unbedingt durchgesetzt werden müssen. Wichtig ist, zu verstehen, woher die Regeln kommen und warum wir sie brauchen – oder lieber auf sie verzichten. Viele von uns Erwachsenen sind noch von den Regeln aus unserem Elternhaus geprägt. Die sind heute vielleicht längst überholt. Beispielsweise, dass beim Essen nicht geredet wird. Gerade beim Essen möchte ich mich doch austauschen, schließlich ist es im besten Fall ein Moment, in dem die ganze Familie zusammenkommt.
Ich finde es für Familien heute viel passender, gemeinsame Vereinbarungen zu haben, statt Regeln aufzustellen. Regeln sind oft sehr starr und streng.
Annette zu Solms, Referentin für den Fachbereich Eltern bei FRÖBEL
Mit Vereinbarungen können Eltern flexibel bleiben und auch mal Ausnahmen machen, wenn es in der Situation richtig ist. Denn Eltern sollten immer vor Augen zu haben, was ihr Kind gerade braucht. Wenn es müde ist, dann darf Nachsicht gelten und das Kind vielleicht schon aufstehen, obwohl noch nicht alle mit Essen fertig sind.
Zusammengefasst denke ich also: Zu viele und starre Regeln sind nicht sinnvoll. Doch Vereinbarungen, die Familien gemeinsam aufstellen und flexibel leben, können helfen, das Familienessen zu strukturieren.
Worauf sollten Eltern achten?
Annette zu Solms: Ich ermutige Eltern, sich von zu starren Vorstellungen freizumachen, wie genau ein Familienessen aussehen muss. Denn Kinder müssen auch das gemeinsame Essen erst lernen. Vieles entdecken sie erst: die Geschmäcker, der Umgang mit Besteck, das Zusammensein mit mehreren Menschen am Esstisch, Absprachen und so weiter. Eltern sollten die Erwartungen herunterschrauben und schauen, was ihre Kinder schon können und was noch geübt wird.
Es ist unrealistisch von einem einjährigen Kind zu erwarten, dass es über das eigene Essen hinaus am Tisch sitzen bleibt. Das wird zwangsläufig zu Stress am Esstisch führen.
Am Familientisch sollte der Fokus daher nicht darauf liegen, ob sich wirklich alle an die Vereinbarungen halten und was alles noch nicht klappt. Stattdessen darf das Essen selbst und die Freude am Essen im Mittelpunkt stehen.
Wie schaffen wir es, uns im Familienalltag an die Vereinbarungen zu halten?
Annette zu Solms:
Vereinbarungen verständlich und nachvollziehbar machen.
Wichtig ist, Kindern die aufgestellten Vereinbarungen zu erklären. Wenn Eltern möchten, dass Kinder beim Essen sitzen bleiben, dann sollten sie auch erklären, warum.
Zum Beispiel:
- Wir besprechen am Tisch wichtige Dinge, die alle hören sollen.
- Es ist der einzige Moment am Tag, an dem wir alle zusammenkommen und uns austauschen können.
- Andere Familienmitglieder essen langsamer und fühlen sich gestresst, wenn zwischendurch schon aufgestanden wird.
Das macht die Vereinbarung für Kinder viel greifbarer. Sie können sich etwas darunter vorstellen und die Gründe nachvollziehen. Eltern sollten ihren Kindern zutrauen zu verstehen, warum wir manche Vereinbarungen so aufgestellt haben.
Vereinbarungen gemeinsam treffen
Ich finde es auch wichtig, Kinder zu fragen: „Was magst du eigentlich, wenn wir gemeinsam essen? Und was magst du nicht?" Vereinbarungen können dann gut mit den Kindern gemeinsam festgelegt werden. Dabei kommen oft schon ganz viele Sachen heraus, die sowohl für Erwachsene als auch für Kinder gelten – zum Beispiel, wenn mit vollem Mund gesprochen oder in der Nase gepopelt wird. Wenn Kinder einbezogen werden und auch eigene Wünsche nennen können, fällt es ihnen oft leichter, sich an die gemeinsamen Absprachen zu halten. Natürlich spielt das Alter der Kinder eine Rolle – bei einem einjährigen Kind ist das etwas Anderes als bei einem Fünfjährigen. Die Kleinen lernen aber selbstverständlich und automatisch mit.
Ausnahmen erklären
Und Eltern sollten erklären, warum es manchmal vielleicht auch Ausnahmen gibt. Wenn beispielsweise die Vereinbarung gilt „Beim Essen wird nicht aufs Handy geschaut“, dann könnte ein wichtiger, eingehender Anruf eine Ausnahme sein. Dann sollte man seinen Kindern erklären, warum es wichtig ist, ranzugehen.
Vorbild sein
Natürlich müssen Eltern sich auch selbst an die aufgestellten Vereinbarungen halten und Vorbild sein.
Wer am Tisch ständig Nachrichten auf dem Handy checkt, braucht sich nicht wundern, wenn Kinder sich beim Essen auch mit anderen Dingen beschäftigen. Kinder übernehmen das Verhalten ihrer Eltern sehr viel mehr als man denkt.
Annette zu Solms, Referentin für den Fachbereich Eltern bei FRÖBEL
Essen als positives Erlebnis gestalten
Das Essen kann ein schöner, gemeinsamer Familienmoment sein, in den bestenfalls alle Familienmitglieder einbezogen sind und wahrgenommen werden. Es hilft, beim Essen über positive Dinge zu sprechen und Streitthemen zu vermeiden, damit keine schlechte Stimmung aufkommt. Wenn Kinder von sich aus ein Problem beim Essen ansprechen, ist es natürlich wichtig, dass Eltern in diesem Fall trotzdem zuhören und die Sorgen ernst nehmen. Eltern könnten dann auch vorschlagen, nach dem Essen in Ruhe auf dem Sofa zu sprechen.
Welche Anregungen aus dem Kita-Alltag können Sie Eltern mitgeben?
Annette zu Solms: Es gibt in jeder Familie unterschiedliche Tischregeln und wir können mit Kindern gut darüber sprechen, welche sie schon kennengelernt haben. Zum Beispiel bei Oma und Opa oder ihren Freund:innen. So lassen sich auch unsere Tischregeln erklären und gemeinsam absprechen. Es gibt Kitas, die machen ab und zu ein „Räuberfrühstück“, das können auch Familien zuhause ausprobieren. Gemeinsam wird beschlossen, wo und wie man mal anders isst: auf dem Tisch, unter dem Tisch, mit den Fingern und so weiter. Das lockert die Esssituation auf.
Kinder können je nach Entwicklungsstand auch kleine Aufgaben übernehmen, zum Beispiel den Tisch decken, abwischen oder abräumen. So gestalten sie die Mahlzeit aktiv mit und fühlen sich eingebunden.
Auch ein Tischspruch vor dem Essen hilft. Der gibt dem Essen einen richtigen Start und anschließend beginnen alle gemeinsam. Viele Kinder mögen solche wiederkehrenden Rituale. Und wenn sie es bereits aus der Kita kennen, können Eltern das leicht für zuhause übernehmen.